Neue Versionen und tägliche Entwicklung

Parallele Versionen gleichzeitig zu pflegen, hat Auswirkungen darauf, wie die tägliche Entwicklung vonstatten geht. Es macht insbesondere etwas praktisch zur Pflicht, was sowieso empfohlen wird: Jeder Commit sollte eine einzige logische Änderung sein, und nicht zusammenhängende Änderungen sollten niemals in dem gleichen Commit gemacht werden. Wenn eine Änderung zu groß ist oder zu störend ist, um sie in einem Commit zu machen, verteilen Sie es über N Commits, wobei jeder Commit eine wohl aufgeteilte Untermenge der gesamten Änderung ist, und nichts beinhaltet, das keinen Bezug zu der Gesamtänderung hat.

Hier ist ein Beispiel eines schlecht überdachten Commit:

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r6228 | hmustermann | 2004-06-30 22:13:07 -0500 (Wed, 30 Jun 2004) | 8 Zeilen

Fehler #1729 behoben: Sorge dafür, dass die Indexierung dem Nutzer
elegant eine Warnung gibt, wenn eine Datei die sich ändert, indexiert
wird.

* ui/repl.py
  (ChangingFile): Neue Ausnahme-Klasse. 
  (DoIndex): Verarbeite die neue Ausnahme.

* indexer/index.py
  (FollowStream): Werfen einer neuen Ausnahme, wenn eine Datei sich
  wärend der Indexierung ändert.
  (BuildDir): In einem anderen Zusammenhang, Entfernung von veralteten
  Komentaren, Neuformatierung vom Code, und Behebung der Fehlerprüfung
  wenn ein Verzeichnis erzeugt wird.

Andere nicht verwandte Aufräumarbeiten:

* www/index.html: Ein paar Vertipper behoben, das Datum der nächsten
Version gesetzt.
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Das Problem dabei wird offensichtlich, wenn jemand die Änderung der Fehlerprüfung in BuildDir für einen bald anstehende Micro-Version in einen anderen Zweig portieren muss. Der Portierende will nicht irgendwelche der anderen Änderungen – vielleicht wurde der Fix für die Meldung #1729 überhaupt nicht für den Stabilen Zweig genemigt, und die Verbesserungen an index.html wären dort einfach irrelevant. Mittels der Merge-Funktion kann er aber die Änderung an BuildDir nicht einfach übernehmen, weil dem Versionsverwaltungssytem gesagt wurde, dass diese Änderung mit den anderen nicht zusammenhängenden Dingen logisch gruppiert ist. Tatsächlich würde das Problem sogar vor dem Merge offensichtlich werden. Alleine schon die Auflistung der Änderung zur Abstimmung würde problematisch werden: statt nur die Revisionsnummer anzugeben, müsste der Antragsteller einen besonderen Patch oder Änderungszweig erstellen, nur um den Anteil der Änderung, welcher vorgeschlagen wird, zu isolieren. Das wäre eine Menge Arbeit, unter der die Anderen leiden müssten, und alles nur weil der ursprüngliche Committer keine Lust hatte, die Änderungen logisch zu gruppieren.

Dieser Commit hätte in Wirklichkeit sogar aus vier einzelnen Commits bestehen sollen: Einen um den Fehler #1729 zu beheben, einen weiteren um die veralteten Komentare zu entfernen und den Code in BuildDir neu zu formatieren, noch einen für die Fehlerprüfung in BuildDir , und zuletzt einen, um die Datei index.html zu überarbeiten.

Die Stabilisierung der neuen Version ist natürlich nicht der einzige Grund für den Wunsch danach, dass jeder Commit eine einzige logische Änderung ist. Psychologisch ist ein semantisch eindeitiger Commit leichter zu überprüfen und leichter rückgängig zu machen falls nötig (in manchen Versionsverwaltungsystemen ist sowieso eine besondere Art von Merge, wenn man etwas rückgängig macht). Etwas vorausschauende Disziplin der Beteiligten kann dem Projekt später eine Menge Kopfschmerzen ersparen.

Planung neuer Versionen

Ein Bereich, in dem Open-Source-Projekte sich historisch von proprietären Projekten differenziert haben, ist die Planung neuer Versionen. Proprietäre Projekte haben gewöhnlich strengere Fristen. Manchmal weil einem Kunden zu einem bestimmten Datum ein Upgrade versprochen wurde, da die neue Version mit einer anderen Absicht aus Marketing-Gründen koordiniert werden muss, oder weil die Risikokapitalgeber die in die ganze Sache investiert haben, Ergebnisse sehen müssen, bevor sie weitere Finanzierungsmittel hineinstecken. Freie Software-Projekte hingegen waren bis zuletzt meistens durch Amateurhaftigkeit im wörtlichsten Sinne motiviert: Sie wurden aus Liebe geschrieben. Keiner hatte ein Drang, etwas zu veröffentlichen, bevor alle Funktionen fertig waren, und warum sollten sie auch? Es war ja nicht so, dass hier der Arbeitsplatz von jemandem auf den Spiel stand.

Heutzutage werden viele Open-Source-Projekte durch Firmen finanziert, und werden entsprechen mehr und mehr durch fristbewusste Unternehmenskulturen beeinflusst. Das mag in vielerlei Hinsicht etwas Gutes sein, kann aber auch Konflikte verursachen zwischen den Prioritäten der Entwickler, die bezahlt werden, von denen der Entwickler, die ihre Zeit freiwillig investieren. Diese Konflikte kommen oft bei der Frage auf, wann und wie die neuen Versionen geplant werden. Die angestellten Entwickler, die unter Druck stehen, werden natürlich einfach irgendein Datum wählen wollen, an dem die Veröffentlichung stattfinden soll, und alle anderen Aktivitäten entsprechend einordnen. Die freiwilligen Entwickler können jedoch andere Pläne haben – vieleicht Funktionen, die sie fertig stellen wollen, oder Tests, die sie gemacht haben wollen – worauf ihrer Meinung nach die Veröffentlichung warten soll.

Es gibt keine allgemeine Lösung für dieses Problem, außer natürlich zu diskutieren und Kompromisse zu schließen. Sie können jedoch den Grad und die Menge an Reibung die verursacht wird minimieren, indem Sie die Existenz der vorgeschlagenen Version von dem Datum entkoppeln, an dem sie veröffentlicht werden soll. Das heißt, versuchen Sie die Diskussion in Richtung des Themas zu lenken, welche Versionen das Projekt in der nächsten bis mittelfristigen Zeit machen wird, und welche Funktionen sie haben werden, zunächst ohne über Termine zu sprechen, abgesehen von groben Schätzungen mit einer Menge Spielraum. [52] Indem Sie frühzeitig den Funktionsumfang festlegen, reduzieren Sie die Komplexität der Diskussion, die sich um irgend eine bestimmte Version dreht, und verbessern dadurch die Berechenbarkeit. Das verursacht auch eine Art träger Voreinstellung, auf Leute, die vorschlagen die Definition einer Version mit neuen Funktionen oder andere Komplikationen zu erweitern. Wenn der Inhalt der Version relativ gut definiert ist, obliegt die Rechtfertigungspflicht für Erweiterungen dem Vorschlagenden, auch wenn das Datum der Version noch nicht festgelegt wurde.

In seiner mehrbändigen Thomas-Jefferson-Biographie, Jefferson and His Time, erzählt Dumas Malone die Geschichte, wie Jefferson das erste Treffen handhabte, das abgehalten wurde, um über die Organization der zukunftigen Universität von Virginia zu entscheiden. Die Universität war von Anfang an die Idee von Jefferson gewesen, aber (wie es überall der Fall ist, nicht nur in Open-Source-Projekten) waren sehr schnell viele andere Parteien an Bord, jede mit eigenen Interessen und Anliegen. Als sie sich zu diesem ersten Treffen versammelten, um alles auszuarbeiten, erschien Jefferson mit minuziös vorbereiteten Bauplänen, detaillierten Budgets für die Konstruktion und den Betrieb, einem Lehrplanentwurf, und den Namen der einzelnen Fakultäten die er aus Europa importieren wollte. Kein anderer im Raum war nur annähernd so gut vorbereitet; die Gruppe musste im wesentlichen vor der Vision von Jefferson kapitulieren und die Universität wurde letztlich mehr oder weniger entsprechend seinen Plänen gegründet. Die Tatsachen, dass die Konstruktion weit über sein Budget ging, und viele seiner Ideen aus verschieden Gründen am Ende nicht funktionierten, waren Dinge, von denen Jefferson wahrscheinlich anfangs genau wusste, dass sie passieren würden. Sein Vorhaben war strategisch: Bei der Versammlung mit etwas derart Stichhaltigem aufzutauchen, dass jeder ander in die Rolle verfallen müsste, lediglich Änderungen daran vorzuschlagen, damit die allgemeine Gestalt, und dadurch der Terminplan des Projekts, ungefähr so bliebe, wie er es wollte.

Im Falle eines freien Software-Projekts, gibt es kein einzelnes "Treffen", sondern stattdessen eine Reihe kleiner Vorschläge die meistens durch den Bugtracker gemacht werden. Wenn Sie aber von Anfang an etwas Ansehen im Projekt haben, und anfangen verschiedene Funktionen, Verbesserungen, und Fehler für bestimmte Versionen im Bugtracker festzulegen, entsprechend irgend einem erklärten Gesamtplan, werden die Leute meistens mitmachen. Wenn Sie erst alles mehr oder weniger so ausgelegt haben, wie Sie es wollen, werden die Unterhaltungen über echte Termine für neue Versionen sehr viel glatter verlaufen.

Es ist natürlich äußerst wichtig, dass Sie niemals irgend eine einzelne Entscheidung als in Stein gemeißelt präsentieren. Zeigen Sie in den Kommentaren anlässlich der Zuordnung von Bugs zu bestimmten Versionen wenn möglich stets Bereitschaft zu Diskussionen, Meinungsverschiedenheiten und die allgemeine Bereitschaft, überredet zu werden. Üben Sie niemals Kontrolle alleine um ihrer Ausübung willen: Je mehr andere sich an der Planung einer neuen Version beteiligen (siehe „Teilen sie sowohl Verwaltungsaufgaben als auch technische Aufgaben“ im Kapitel Kapitel 8, Leitung von Freiwilligen), desto leichter wird es sein sie zu überreden, Ihre Prioritäten bei Angelegenheiten zu teilen, die Ihnen wirklich wichtig sind.

Die andere Möglichkeit, Spannungen bei der Planung neuer Versionen des Projekts zu veringern ist, relativ häufig zu veröffentlichen. Wenn zwischen den Veröffentlichungen eine lange Zeit liegt, wird die Bedeutung von jeder einzenen in den Köpfen allern vergrößert; die Leute sind um so mehr betrübt, wenn ihr Code es nicht hinein schafft, weil sie wissen wie lange es dauern könnte, bis die nächste Gelegenheit kommt. Abhängig von der Komplexität des Ablaufs bei einer neuen Version und der Natur Ihres Projekts, liegt die richtige Zeit zwischen den einzelnen Veröffentlichungen gewöhnlich irgendwo zwischen drei und sechs Monaten, obwohl in den Stabilen Zweigen Micro-Veröffentlichungen ein wenig schneller geschehen können, wenn dafür Bedarf besteht.



[52] Einen alternativen Ansatz können Sie in Martin Michlmayrs Dr. phil. Dissertation nachlesen Quality Improvement in Volunteer Free and Open Source Software Projects: Exploring the Impact of Release Management (http://www.cyrius.com/publications/michlmayr-phd.html). Sie behandelt einen zeitbasierten im Gegensatz zu einem Feature-basierten Herausgabe-Prozess für umfangreiche free Software-Projekte. Michlmayr hielt auch einen Vortrag bei Google zu diesem Thema, verfügbar als Video unter http://video.google.com/videoplay?docid=-5503858974016723264.