Auch wenn die meisten Open-Source-Entwickler es nur ungern zugeben würden, funktioniert Marketing. Eine gute Marketingkampagne kann Aufmerksamkeit um ein Open-Source-Projekt entstehen lassen, selbst zu dem Grad, dass starrköpfige Entwickler unklare positive Gedanken über die Software haben, aus Gründen, die sie sich nicht ganz erklären können. Es ist nicht an mir die Dynamik des Wettrüstens beim Marketing um Allgemeinen zu untersuchen. Jede Gesellschaft die mit freier Software zu tun hat, wird irgendwann sich dabei vorfinden zu bedenken, wie sie sich, die Software, oder ihre Beziehung zu der Software vermarkten sollen. Die folgenden Ratschläge handeln darüber, wie Sie bei solch einer Bemühung häufige Stolpersteine vermeiden können; siehe auch „Öffentlichkeit“ im Kapitel Kapitel 6, Kommunikation.
Um die Entwicklergemeinschaft auf Ihre Seite zu behalten, ist es sehr wichtig nichts zu sagen, was nicht nachweislich wahr ist. Überprüfen Sie vorsichtig alle Behauptungen, bevor Sie diese in den Raum stellen, und geben Sie der Öffentlichkeit einen Weg Ihre Behauptungen zu überprüfen. Unabhängige Überprüfung von Tatsachen ist ein bedeutender Teil von Open Source, und es gilt für mehr als nur den Code.
Natürlich würde eh niemand Firmen raten, nicht überprüfbare Behauptungen aufzustellen. Bei Open-Source-Aktivitäten gibt es für gewöhnlich eine hohe Anzahl an Personen mit dem nötigen Wissen um Behauptungen zu verifizieren – Personen die wahrscheinlich auch einen breitbandigen Internetzugang haben und die richtigen sozialen Kontakte um Ihre Ergebnisse auf eine schädliche Art zu verbreiten, wenn Sie es wollen. Wenn Global Megacorp Chemical Industries einen Fluss verunreinigt, kann das nachgewiesen werden, aber nur von ausgebildeten Wissenschaftlern, die wiederum von den Wissenschaftlern von Global Megacorp angefochten werden können, wodurch die Öffentlichkeit verwirrt wird und sich nicht sicher ist, was sie denken soll. Im Gegensatz dazu ist Ihr Verhalten in der Open-Source-Welt nicht nur sichtbar und aufgezeichnet; es ist auch ein Leichtes für viele Leute es unabhängig voneinander zu überprüfen, ihre eigene Schlussfolgerungen zu ziehen und diese mittels Mundpropaganda zu verbreiten. Diese Kommunikationsnetzwerke sind bereits gelegt; sie sind das Wesentliche wodurch Open Source funktioniert, und sie können benutzt werden, um jede Information zu übertragen. Widerlegung ist für gewöhnlich schwer, wenn nicht sogar unmöglich, insbesondere wenn das was die Leute sagen war ist.
Es ist zum Beispiel in Ordnung von Ihrer Organisation zu sagen, dass Sie "Projekt X gegründet" hat wenn das tatsächlich der Fall ist. Bezeichnen Sie sich aber nicht als die "Hersteller von X" wenn der meiste Code von Fremden geschrieben wurde. Umgekehrt sollten Sie nicht behaupten, dass Sie eine zutiefst beteiligte Gemeinschaft freiwilliger Entwickler haben, wenn jeder in Ihr Projektarchiv hineinschauen und sehen kann, dass es wenige oder gar keine Änderungen gibt, die von außerhalb Ihrer Gesellschaft kommen.
Vor nicht all zu langer Zeit sah ich eine Meldung von einer sehr bekannten Computer-Firma, welche behauptete, dass Sie ein wichtiges Software-Paket unter einer Open-Source-Lizenz veröffentlichten. Als die ursprüngliche Ankündigung herausgegeben wurde, sah ich mir ihr nunmehr öffentliches Projektarchiv an und erkannte, dass es nur drei Revisionen beinhaltete. Mit anderen Worten, hatte sie den ersten Import des Quellcodes gemacht, seit dem war aber fast nichts geschehen. Das alleine für sich war nicht beunruhigend – schließlich hatten sie eben erst die Ankündigung gemacht. Es gab keinen Grund gleich vorne weg eine Menge Aktivität zu erwarten.
Etwas später machten Sie eine weitere Meldung. Dabei behaupteten sie folgendes (wobei der Name und die Versionsnummer durch Pseudonyme ausgetauscht wurden):
Wir freuen uns bekannt zu geben, dass nach rigorosen Tests durch die Singer-Gemeinschaft, Singer 5 für Linux und Windows für den Einsatz in produktiven Umgebungen bereit ist.
Neugierig was die Community bei ihren "rigorosen Tests" aufgedeckt hatte, ging ich danach zurück zum Projektarchiv um seine Historie kürzlicher Änderung an zu sehen. Das Projekt war immer noch bei der Revision 3. Scheinbar hatten sie keinen einzigen Bug gefunden der es vor dem Release wert gewesen wäre behoben zu werden! In der Annahme, dass die Ergebnisse der Tests durch die Gemeinschaft anderswo aufgezeichnet worden sein müssen, untersuchte ich als nächstes den Bugtracker. Es gab genau sechs offene Meldungen, von denen vier bereits seit mehreren Monaten offen gewesen waren.
Das ist so natürlich kaum glaubwürdig. Wenn Tester auf einem großen und komplexen Stück Software für einige Zeit einhämmern, werden sie Fehler finden. Selbst wenn die Fixes für diese Bugs es nicht in die nächste Version schaffen, sollte man annehmen, dass durch das Testen irgendwelche Aktivität auf dem Versionsverwaltungssystem resultieren würde oder zumindest ein paar neue Bug-Meldungen. Allem Anschein nach war jedoch nichts seit der Ankündigung der Open-Source-Lizenzierung und der ersten Open-Source-Version passiert.
Die Sache ist nicht, dass die Firma über die Tests durch die Gemeinschaft gelogen hatte. Ich habe keine Ahnung ob dies der Fall war oder nicht. Sie waren aber völlig nachlässig darüber, wie sehr es danach aussah als ob sie am Lügen waren. Da weder das Versionsverwaltungssystem noch der Bugtracker irgend eine Andeutung über die angeblichen rigorosen Tests beinhaltete, hätte die Firma entweder von vorn herein die Behauptung nicht machen sollen oder einen klaren Verweis auf irgendein greifbares Ergebnis dieser Tests ("Wir haben 278 Bugs gefunden; klicken Sie hier für weitere Details") geben sollen. Letzteres hätte jedem die Möglichkeit gegeben, sich sehr schnell ein Bild über die Aktivität der Gemeinschaft zu machen. So wie es war, brauchte ich nur ein paar Minuten um heraus zu finden, dass was auch immer diese Gemeinschaft am testen war, es hatte keine Spuren an den üblichen Stellen zurück gelassen. Das ist keine große Mühe, und ich bin mir sicher, dass ich nicht der einzige war der sich diese gemacht hat.
Transparenz und Überprüfbarkeit sind natürlich auch ein wichtiger Teil der rechten Würdigung. Siehe „Anerkennung“ im Kapitel Kapitel 8, Leitung von Freiwilligen für weiteres hierüber.
Unterlassen Sie es, negative Ansichten über konkurrierende Open-Source-Software zu verkünden. Es ist völlig in Ordnung, negative Tatsachen zu benennen – also leicht überprüfbare Behauptungen von der Art, wie man sie oft in Vergleichstabellen sieht. Negative Beschreibungen, von weniger rigoroser Natur sollte man aus zwei Gründen lieber vermeiden. Erstens machen Sie sich damit schuldig Flamewars anzufangen, welche von produktiven Diskussionen ablenken. Zweitens und noch wichtiger, kann es sich herausstellen, dass einige der freiwilligen Entwickler in Ihrem Project, auch an dem konkurrierenden Projekt arbeiten. Das ist wahrscheinlicher als es zunächst den Anschein haben mag: Die Projekte sind bereits in dem selben Anwendungs und Geschäftsbereich (deshalb stehen sie zu einander in Konkurrenz). So kann es passieren, dass die Entwickler die Fachwissen auf diesem Gebiet haben überall dort Beiträge leisten wo es anwendbar ist. Selbst wenn es keine direkte Überlappung bei den Entwicklern gibt, ist es wahrscheinlich, dass Entwickler in Ihrem Projekt zumindest mit denen aus verwandten Projekten vertraut sind. Ihre Möglichkeiten konstruktive persönliche Bekanntschaften zu pflegen könnten durch übermäßig negative Marketing-Botschaften eingeschränkt werden.
Auf konkurrierenden proprietären Produkten herumzuhacken scheint eher in der Open-Source-Welt akzeptiert zu sein, insbesondere wenn diese Produkte von Microsoft stammen. Ich persönlich verabscheue diese Neigung (obwohl es auch in diesem Fall nichts gegen sachliche Vergleiche auszusetzen gibt), nicht nur weil es unhöflich ist, sondern weil es gefährlich für ein Projekt ist, anzufangen ihren eigenen Hype zu glauben und dadurch zu ignorieren, inwiefern die Konkurrenz vielleicht tatsächlich überlegen sein mag. Im allgemeinen sollten Sie darauf aufpassen, welche Auswirkungen Marketing-Botschaften auf Ihre eigene Entwicklergemeinschaft haben mag. Manche mögen derart aufgeregt darüber sein, durch Marketing Rückenwind zu bekommen, dass sie ihre Objektivität über die wahren Stärken und Schwächen ihrer Software verlieren. Es ist normal, und sogar zu erwarten, dass die Entwickler einer Firma zu einem gewissen Grad Unberührtheit von Marketing-Behauptungen ausdrücken, selbst in den öffentlichen Foren. Sie sollten ganz klar diesen Marketing-Botschaften nicht direkt widersprechen (es sei denn sie sind tatsächlich falsch, obwohl man hoffen mag, dass soetwas vorher abgefangen werden sollte). Von Zeit zu Zeit kann es aber passieren, dass sie sich darüber lustig machen, um die restliche Entwicklergemeinschaft wieder auf den Teppich zu bringen.